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Veröffentlicht am: Meldung

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Grenzen überwinden

Das Projekt "Eine Gesellschaft auf dem Seil" in Berlin-Neukölln bringt Menschen aus verschiedenen Kulturen zusammen.

BerlinDu weißt, du kannst es”, sagt Francesco Procopio ruhig. Der Trainer mit den Karabinerhaken und Seilen um den Hals steht still da und blickt nach oben. Milena (15) steht auf einem vier Meter hohen Gerüst über ihm.

Unter ihr unterbrechen die anderen Teilnehmenden ihre Gespräche, um zuzuschauen und mitzufiebern. Bei dem Projekt "Gesellschaft auf dem Seil" in Berlin-Neukölln sollen Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen zusammenkommen. Gemeinsam überwinden sie Grenzen, in dem sie Schritt für Schritt dem Hochseilsport erlernen. Gefördert wird der Projektträger "Coraggio – Die Kulturanstifter" vom Bundesprogramm "Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Vor Ort. Vernetzt. Verbunden" des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Milena hält eine etwa fünf Meter lange und fünf Zentimeter dicke Stange in den Händen. Es ist das einzige, woran sie sich festhalten kann. Die lange Stange darf nicht auf die eine oder die andere Seite abfallen. Sonst verliert sie das Gleichgewicht. Wenn sie das geschafft hat, zieht sie die Stange ganz nah an ihren Bauch.

Dann kann sie vorsichtig loslaufen. Die Beine hat sie eng aneinandergepresst, die Füße sind nach vorne gerichtet. Sie atmet durch und schiebt ihren rechten Fuß wenige Zentimeter nach vorne.

Die Menschen arbeiten und lernen hier zusammen. Sie motivieren sich gegenseitig, ihre Grenzen zu überwinden,

meint Trainer Fracesco und Corragio-Vereinsvorstand Stefan Petzoldt ergänzt:"Wir versuchen die Gesellschaft in ihrer gesamten Vielfalt anzusprechen. Und über die BAMF-Förderung ist es uns gelungen, die Idee der Hochseilanlage schneller und professioneller aufzuziehen, als wir uns das erhofft und erträumt haben."

Trainiert wird in der Regel am Wochenende. Immer wieder kommen neue Menschen, trainieren mit denen, die öfter da sind. Sie sind alt und jung, weiblich und männlich, aus verschiedenen Schichten, Kulturkreisen und Herkunftsländern.

Auf dem Sportplatz zählt das Miteinander. Wichtig ist das Zusammengehörigkeitsgefühl, der Umgang mit den eigenen Ängsten und Grenzen.

Alle wollen, dass man weiterkommt.

“Die Atmosphäre ist hier locker – und positiv”, beschreibt etwa der regelmäßige Teilnehmer Sam das Projekt. “Alle wollen, dass man weiterkommt.” Auch sei das Erfolgsgefühl relativ hoch, sagt er. “Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen kommen hier zusammen und unterstützen sich gegenseitig.” Auch Sellah ist von dem "Gesellschaft auf dem Seil" überzeugt: “Das Projekt gefällt mir gut, weil es Leute zusammenbringt, die sich vielleicht so gar nicht kennenlernen würden”, erklärt die junge Frau. “Das ist ein sehr internationaler Rahmen. Alle lernen was gemeinsam, was sie vorher noch nicht konnten. Man lernt sich auf eine ganz andere Art und Weise kennen. Und unterstützt sich, motiviert sich. Das ist eine sehr schöne Atmosphäre.”

Milena muss sich verbieten, nach unten zu schauen und zu prüfen, wo sie ihre Füße hinsetzt. Sie muss sich einen Punkt suchen, den sie fixiert und auf den sie Schritt für Schritt zuläuft. Milenas Körper schwankt auf dem Seil.

Trainer Francesco Procopio sagt mit ruhiger, aber bestimmter Stimme: “Du weißt, du kannst es. Du weißt, du kannst es. Du weißt, du kannst es.” Selbstsicherheit ist das beste Rezept in diesem Moment.

Doch es gibt auch eine technische Lösung. Francesco hat den Teilnehmenden im Vorfeld erklärt, was zu tun ist, wenn es nicht weitergeht: Die Stange kontrolliert auf einer Seite herabsenken, bis das Ende den Boden berührt. Dann kann man seinen Körper zwischen Seil und Stange einspannen. Milena macht sich gerade, schaut nach vorne und zieht die Stange an ihren Körper heran. Sie setzt einen Fuß nach vorne. Schritt für Schritt. Die Enden der Stange bewegen sich an ihren Enden nun nicht mehr ruckartig, sondern ziehen kleine Halbkreise wie ein Pinsel, der leichte Wellen auf eine Leinwand malt.

Jedja hält vor Freude und Aufregung ihre Hand vor den Mund. Ihre Tochter, Milena, scheint es tatsächlich zu schaffen. Beide besuchen heute zum ersten Mal das Hochseilprojekt in Berlin-Neukölln. Eine Hausbewohnerin aus Eritrea hatte sie eingeladen. Sie ahnte, dass der Tanz auf dem Seil etwas für Mutter und Tochter sein könnte. Im Sommer hat die ganze Familie den 4.000 Meter hohen "Mönch" in den Schweizer Alpen erklommen.

Was ihr beide heute geschafft habt, ist unglaublich.

Während Milena sich dem Gerüst am anderen Ende des Seils nähert, treten die anderen Teilnehmenden einige Schritte heran. Obwohl sie weiß, dass sie es geschafft hat, muss sie konzentriert bleiben. Als sie das Podest erreicht hat, senkt sie die Stange an einer Seite herab, so dass sie ihr abgenommen werden kann. Milena strahlt und kann endlich ihre Arme ausstrecken. Flink klettert sie am Gerüst herunter und fällt ihrer Mutter um den Hals.

Francesco wendet sich dann einer Teilnehmerin zu, die heute ihre ersten drei Schritte auf einem Seil gelaufen ist und dann abgebrochen habt: “Was ihr beide heute geschafft habt, ist unglaublich.”

"Wir wollen mit der ‚Gesellschaft auf dem Seil‘ die Berliner Gesellschaft in ihrer gesamten Vielfalt ansprechen. Für uns ist Hochseillaufen eine Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen", erklärt Vereinsleiter Petzoldt. Ganz nach dem Motto: Vor Ort. Vernetzt. Verbunden.