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Veröffentlicht am: Meldung

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ImPuls - Eine Stadt wächst zusammen

Bei "ImPuls" erzählen Zugewanderte und Einheimische aus Schwäbisch Hall im Podcast und auf der Bühne ihre Geschichten: Wertschätzung und Empathie sollen den Zusammenhalt in der Stadt stärken. Wie gelingt das am besten?

Die Stühle im Barocksaal der Hospitalkirche Schwäbisch Halls sind schnell besetzt. Im gepflasterten Innenhof stehen die Menschen kurz zuvor noch in kleinen Grüppchen beisammen. Sie plaudern, drücken sich Küsschen auf die Wangen, trinken Schwarztee aus türkischen Teegläsern. Der Sommer hängt in der Luft, die Stimmung ist ausgelassen. Doch in ihrer Aufregung findet Karin Kücük keine Ruhe.

Kücük, 51 Jahre alt, trägt ein feuerrotes Kleid und hat rot lackierte Fingernägel. Bei ihr liegt an diesem Abend die Verantwortung für fast alles: Moderation, Logistik, Stimmung. Kücük ist Koordinatorin des Projekts "ImPuls - Zusammenwachsen in Schwäbisch Hall" der AWO Schwäbisch Hall, das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) im Rahmen des Bundesprogramms "Gesellschaftlicher Zusammenhalt" gefördert wird.

Können Bewohnerinnen und Bewohner einer Stadt es schaffen, ein Stück näher aneinander zu rücken? Und wenn ja, was muss dafür geschehen? Seit ImPuls im Frühjahr 2022 anlief, stellt Kücuk sich diese Fragen.

Dabei versucht sie, Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und Nationen zu Selbstwirksamkeit und sozialer Teilhabe zu ermutigen. Konkret bedeutet das: Um das Gefühl eines Miteinanders in Schwäbisch Hall zu stärken, interviewt sie jede Woche einen Stadtbewohner zu seiner oder Stadtbewohnerin zu ihrer Lebensgeschichte oder zu einem Projekt. Ausgestrahlt werden die Podcasts im lokalen Radiosender Sthörfunk. Drei Mal im Jahr organisiert Karin Kücük die ImPuls-Talks, Veranstaltungen wie an diesem Abend, bei denen Schwäbisch Haller ihre Initiativen vorstellen.

Vielleicht ist ImPuls gerade deshalb so erfolgreich, weil es weder ein Feuerlöschprojekt ist, noch der Versuch, einen drängenden Missstand zu beheben. Oder weil, wenn man durch das Städtchen Schwäbisch Hall spaziert, die Menschen einem in die Augen schauen statt zur Seite. Irgendetwas, so berichten es viele an diesem Abend, läuft hier jedenfalls richtig. Oft ist zu hören: "Danke, Karin!"

Insgesamt 185 Menschen haben sich zum ImPuls-Talk angemeldet, trotz Julihitze und einer anderen Veranstaltung, die am gleichen Tag stattfindet. Sie stammen aus der ganzen Welt: aus Schwäbisch Hall, aus der Ukraine, Algerien, Marokko, Tunesien, Iran, Syrien, Brasilien und der Türkei.

Geplant war ursprünglich ein Projekt, an dem in erster Linie Zugewanderte teilnehmen sollten. "Aber im Prozess verstand ich: Wir sind Teil einer Gemeinschaft", sagt Kücük. Deshalb dürfen bei ImPuls alle mitmachen. Sie selbst hat einen türkischen Mann geheiratet, studierte Islamwissenschaften, lernte Türkisch, Arabisch und Persisch.

Auf die Bühne treten an diesem Abend sieben Sprecherinnen und Sprecher zum ImPuls-Talk und erzählen ihre Geschichten. Das Thema ihrer kurzen Vorträge ist Ehrenamt. Aber im weiteren Sinne geht es allen um etwas Größeres: Was macht ein erfülltes Leben aus? Was kann Ehrenamt dazu beitragen?

Da ist etwa Kalle Loske, graues Haar, traurige Augen. Nach dem Tod seiner Frau gründete er im Andenken an sie einen Chor, der sich "Der Himmel kann warten" nennt. Ihre Einnahmen spenden die Sängerinnen und Sänger an verschiedene Krebsinitiativen. Als Loske seine Geschichte vor dem Publikum erzählt, stockt seine Stimme manchmal. Er muss weinen. Im Saal herrscht eine Stille, sodass man fast den Atemzug eines Einzelnen hören kann.

Farnaz Schäfer, strahlendes Lächeln, gepunktetes Sommerkleid, gründete mit ihrer Freundin aus Brasilien das Begegnungsformat "Internationaler Kreis". "Heute bin ich ein glücklicher Mensch. Aber das war nicht immer so", beginnt sie ihre Rede. Im Iran wurde Schäfers Familie aufgrund ihrer Religion verfolgt. Mit 16 Jahren verließ sie ihre Heimat.

Mariem El Alami, dreifache Mutter aus Marokko, kam zum Studium nach Deutschland. Sie organisierte das erste öffentliche Zuckerfest in Schwäbisch Hall. "Warum belaste ich mein Leben mit etwas, das ich nicht tun muss?", fragt sie in die Menge. "Weil Ehrenamt glücklich macht!" Das Publikum klatscht so heftig, dass man kurz glaubt, den prächtigen Kronleuchter an der Saaldecke wackeln zu sehen.

Zum Schluss spricht die Unternehmerin Carolin Hecky über ihr Projekt "Erzähl Ma(h)l - Ein Abendessen, das verbindet", das sie mit Unterstützung von ImPuls entwickelte. Regelmäßig bringt sie die Bewohnerinnen und Bewohner Schwäbisch Halls zu einem Drei-Gänge-Menü zusammen. Dabei diskutieren sie in Paaren Fragen, die Vertrauen und zwischenmenschliche Verbundenheit schaffen sollen: "Wenn du etwas daran ändern könntest, wie du erzogen wurdest, was wäre das?", ist beispielsweise so eine Frage.

Längst hat Dunkelheit den Himmel von Schwäbisch Hall überzogen. In der Pause erfreuen sich gefüllte Weinblätter, Bulgur-Köfte und Ma’amoul, ein arabisches Grießgebäck mit gefüllten Datteln, großer Beliebtheit bei den Besucherinnen und Besuchern. Sechs arabische Frauen haben für ImPuls Essen aus ihren Heimatländern für alle gekocht.

Welches Erbe wird das Projekt also hinterlassen, wenn es zum Jahresende ausläuft? Ein leises, aber solides. Ein Vermächtnis von Biografien, von Momenten und Erinnerungen. Womöglich die schlichte Beobachtung, dass Solidarität eine Kettenreaktion hervorzurufen vermag und Engagement im Kleinen große Veränderungen bewirken kann.

Text: Marina Klimchuk