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Only Human – mit der eigenen Stimme Zeichen setzen
Das Projekt "Only Human" bringt junge Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen. Im Vordergrund stehen ihre Erlebnisse mit Diskriminierung und Rassismus und ihre Vorstellung von einem Miteinander über politische und gesellschaftliche Grenzen hinweg. Mitmachen können junge Erwachsene, die Lust haben, gemeinsam zu singen, zu tanzen, vor der Kamera und auf der Bühne zu stehen, und die mit ihrer Kunst Grenzen überwinden und zu einer erfolgreichen Integration beitragen wollen.
Sechs junge Erwachsene stehen auf einer Bühne im Licht eines Scheinwerfers, der Klang ihrer Stimmen erfüllt den Proberaum. Ihre Gesichter sind ernst, konzentriert. Vier Frauen, zwei Männer. Einer davon ist Javad. Alle Teilnehmenden nennen sich bei dem Projekt beim Vornamen. Vor sechs Jahren ist er aus dem Iran nach Deutschland geflohen. "Wenn du in ein neues Land kommst, in eine neue Gesellschaft, bist du erst mal ganz allein. Du hast alles, was dir vertraut ist, zurückgelassen", sagt der 29-Jährige.
Javad ist Teil des Projekts "Only Human". Dieses wird durch das Bundesprogramm "Gesellschaftlicher Zusammenhalt – Vor Ort. Vernetzt. Verbunden." des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und Heimat (BMI) gefördert. Ziel des Projekts ist es, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zusammenzubringen. Es geht nicht nur um Tanzen und Singen, sondern in erster Linie um Ankommen.
Ein preisgekrönter Kurzfilm erzählt ihre Realitäten
"Ich erinnere mich noch gut an meine erste Stunde hier: Ich habe gedacht, die tanzen und singen und das kann ich gar nicht", erzählt Javad. Plötzlich beginnen die jungen Erwachsenen allesamt, auf der Bühne loszulaufen. Sie gehen sich aus dem Weg, biegen ruckartig ab, wiegen sich zur Musik – wirken gefangen, ausgegrenzt, verloren. "Stranger in a strange place", sagt die Regisseurin des Projekts Katerina Giannakopoulou, "fremd in einem fremden Land", um die Bewegungen und Emotionen der Teilnehmenden auf der Bühne zu unterstreichen.
Katerina Giannakopoulou kennt die Geschichten aller hier. Insgesamt gibt es drei Gruppen: Tanz, Gesang, Dokumentation, die von einer ausgebildeten Gesangsdozentin, einem Songwriter und einer Tanzlehrerin begleitet werden. Jede Gruppe trifft sich ein- bis zweimal in der Woche an den Standorten Köln, Frechen und Wuppertal. In der Gruppe Dokumentation, der auch Javad angehört, erzählen die Teilnehmenden ihre Geschichte – ihre Flucht, ihre Gewalterfahrungen, ihre Sehnsüchte, ihre Begegnungen mit Rassismus. In Abschlussproben wie heute überlegen die Teilnehmenden mit der Regisseurin, wie sie dann Gesang, Tanz und Dokumentation zusammenbringen. Das Ergebnis ist eine Aufführung und ein Kurzfilm pro Jahr. "Das Projekt und speziell die Filme sollen unsere Gesellschaft aufklären, sensibilisieren, sich und sein Handeln und Denken zu hinterfragen: Wo stehen wir in unserer Gesellschaft, wo stehe ich und wie und wo kann ich meinen Beitrag leisten?", erklärt die Regisseurin.
Der erste Kurzfilm hat inzwischen 24 Preise gewonnen. Er wurde unter anderem auf der Pressekonferenz bei den 75. Internationalen Filmfestspielen in Cannes in Frankreich gezeigt und beim Social World Film Festival in Italien; hier belegte er in den Kategorien bestes Drehbuch und beste Filmkunst den ersten Platz. Beim ReelHeART Festival in Kanada gewann er den Jahrespreis als bester Dokumentarfilm. Außerdem wurde er beim Human Rights Film Festival in Berlin vorgestellt – eine Million Menschen haben ihn bislang gesehen.
Mit Kunst und der eigenen Geschichte Grenzen überwinden
Ich war schon immer anders, aber ich habe nicht verstanden, was mich anders gemacht hat. Ich bekam von anderen Kindern zu hören: "Warum ist ihr Gesicht so gelb? Versteckt eure Hunde und Katzen vor ihr, sonst frisst sie sie", erzählt die 22-jährige Studentin; ihr Tonfall ist bitter. "Es macht keinen Unterschied, ob du hier geboren bist, ob du fließend Deutsch sprichst, wenn du nicht dem europäischen Stereotyp entsprichst, eckst du an. Und gerade deswegen finde ich solche Projekte wie Only Human so wichtig, weil sie eine Form der Aufklärung bieten, die die Gesellschaft braucht."
Jess und Javad haben beide im ersten Kurzfilm ihre Geschichten erzählt. "Ich weiß noch dieser Moment, als wir den Film als Ganzes zum ersten Mal gesehen haben. Wir saßen alle zusammen. Wir kannten zwar unseren Teil, aber nicht den der anderen. Und das dann zusammen zu teilen, war ein sehr emotionales Erlebnis. Wir wollten gar nicht mehr auseinandergehen", erklärt Javad. "In dem Film werden so viele Realitäten erzählt", sagt Jess. "Viele verdrängen, dass wir immer noch in einer Gesellschaft leben, in der Rassismus eine Rolle spielt." Das Projekt habe sie selbstbewusster gemacht. "Ich halte mich nicht mehr zurück. Wenn ich sehe, dass Menschen ungerecht behandelt werden, gehe ich dazwischen. Wenn mich jemand ungerecht behandelt oder beleidigt, mache ich den Mund auf. Ich habe hier gelernt, dass es kein ‚Too-much‘ gibt."
"Es fühlt sich an wie eine Familie"
Das Medienprojekt, dessen künstlerische Leitung beim gemeinnützigen Verein "music4everybody!" liegt, schafft gesellschaftliches Miteinander nach außen, aber auch nach innen. "Ich habe hier echte Freundschaften gefunden, die mir beim Ankommen geholfen haben", erklärt Javad. "Sie haben mir auch in sehr schweren Zeiten beigestanden und mich aufgefangen. Es fühlt sich wie eine Familie an."
Javad hat mittlerweile eine Arbeitsgenehmigung und einen Job als Telekommunikationstechniker. Seine Familie hat er seit seiner Flucht nicht mehr gesehen. "Mein Vater sagte immer: Wenn du einen sehr langen Weg nehmen musst und du dich fragst: ,Wann kommst du endlich an?', dann schau nach hinten, schau auf den Weg, den du schon zurückgelegt hast."
Jess hat beim Singen die Augen wieder geöffnet, die Wirklichkeit mache ihr keine Angst mehr, die geschützte und vertraute Atmosphäre hier genieße sie nach wie vor. Hier könne sie sein, wie sie ist – only human – "einfach Mensch" sein eben.
Text: Charlotte Biermann