Zum Inhalt springen

Veröffentlicht am: Meldung

  • Projekte

Von der Fremden zur Freundin – ein Projekt für Zusammenhalt

Im Projekt "Frauenwelten" treffen sich Zugewanderte und Frauen aus Halle (Saale) verschiedener Generationen. Gemeinsam tauchen sie in die Lebenswelten der anderen ein.

Zusammenhalt stärken, Kompetenzen steigern, sichtbar werden. In Halle (Saale) geht das Projekt "Frauenwelten – Geschichten der Verständigung" in die dritte Runde. Im Rahmen des Bundesprogramms "Gesellschaftlicher Zusammenhalt" wird das Projekt vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) gefördert.

Einmal in der Woche treffen sich die Teilnehmerinnen, lernen Formen des freiwilligen Engagements kennen, erweitern ihre Fähigkeiten im Umgang mit Medien und entdecken Gemeinsamkeiten in ihren Biographien. Am Ende präsentieren sie die dabei zutage tretenden Geschichten in öffentlichen Fotoausstellungen oder Filmvorführungen. Und schließen Freundschaften, die auch nach Abschluss des Projekts bestehen bleiben. 

Petra Hoffmann, 76, streckt eine Hand über den Tisch aus. Aeshah Ali, 49, ergreift sie. Gemeinsam schauen sich die beiden Frauen Handyfotos ihres letzten gemeinsamen Zoobesuchs an. Auf einem Bild sitzen vier Frauen mit Kopftuch auf einer Bank. “Und dann ich daneben”, sagt Petra Hoffmann und lacht. Merkwürdig habe sie sich zunächst gefühlt. Zu Migrantinnen hatte die gebürtige Leipzigerin bis vor einem Jahr keinen Kontakt. Erst das Projekt "Frauenwelten – Geschichten der Verständigung" hat die Frauen zusammengebracht. "Draußen auf der Straße spielt das Kopftuch noch immer eine große Rolle", findet die promovierte Biowissenschaftlerin, die einst bei der Europäischen Kommission in Brüssel gearbeitet hat. "Aber hier drinnen ist es längst nicht mehr wichtig." Das sei das Gute an dem Projekt. Alle kommen ins Gespräch. Barrieren schwinden. Nähe entsteht.

Begegnungsräume schaffen

Rund ein Dutzend Frauen treffen sich jede Woche im WELCOME-Treff der Freiwilligenagentur in der Geiststraße in Halle. Die Projektleiterin Alice Mazzara und die pädagogische Mitarbeiterin des Projekts Jana Hemming-Lange, beide 31, schieben kurz vor Beginn die Stühle zu einem Stuhlkreis zusammen. "Wir haben das Projekt initiiert, weil wir neue Begegnungsräume öffnen wollten, in denen Frauen gemeinsam etwas machen und erschaffen können", sagt Jana Hemming-Lange. Es sollte nicht die klassische Rollenverteilung von Helfenden auf der einen Seite und denen, die Hilfe annehmen, auf der anderen Seite geben. "Uns war es wichtig, dass sich die Frauen auf Augenhöhe begegnen."

Neue Freundinnen finden

Petra Hoffmann und Aeshah Ali haben sich bereits in der zweiten Projektrunde kennengelernt. "Wir gehen viel gemeinsam spazieren", sagt Aeshah Ali, die vor vier Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen ist. Von ihren Kindern wohnt nur noch der jüngste Sohn zu Hause.

"Manchmal helfe ich meinen älteren Nachbarn, trage ihre Einkäufe hoch in den achten Stock oder koche für sie." Doch das Ankommen in Halle (Saale) war nicht leicht für die fünffache Mutter, die mittlerweile auch schon Großmutter ist. Sie vermisst ihr Haus und ihren Garten in Syrien, das Zusammensein mit Freunden. Ohne Sprachkenntnisse war es schwer, Kontakte zu knüpfen. Jetzt will sie sich endlich einen Freundeskreis in Halle aufbauen, Deutsch lernen. Auch Petra Hoffmann fühlt sich oft allein. "Meine Freunde sind fast alle schon fort. Viele sind nach dem Mauerfall ´89 gegangen, andere verstorben", sagt sie.

Frauen als Brückenbauerinnen

Dem Alleinsein will das Projekt "Frauenwelten" eine starke Gemeinschaft entgegensetzen. Damit ist es eines von gut 200 Projekten, die im Rahmen des Bundesprogramms "Gesellschaftlicher Zusammenhalt" durch das BAMF im Auftrag des Bundesministeriums des Innern und für Heimat gefördert werden. Sie alle haben ein Ziel: Das interkulturelle Zusammenleben vor Ort fördern und verbessern.

"Viele Frauen haben das Gefühl, nicht hilfreich sein zu können. Aber das sind sie, sehr sogar", sagt Alice Mazzara. Die Frauen sind Brückenbauerinnen, lassen einander sichtbar werden. Das Frausein verbinde, egal wie unterschiedlich die Frauen sind oder mit welchen Absichten sie am Projekt teilnehmen. "Und ein Smartphone haben fast alle, daher haben wir uns entschieden, mit Film und Fotos zu arbeiten."

Gemeinschaft erleben

Da die dritte Projektrunde gerade erst gestartet ist, sollen sich die Frauen heute besser kennenlernen. "Was sind eure Wünsche für die Zukunft?", fragt Jana Hemming-Lange in die Runde. Die Frauen erzählen, diskutieren, lachen. Auf kleinen Karten stehen später ihre Antworten: Erlebnisse mit Freunden, Erfahrungen teilen, helfen, Gemeinschaft.

"Für mich ist es der schönste Erfolgsmoment, wenn die Frauen ihre Telefonnummern austauschen", sagt Alice Mazzara, "ohne dass wir das vorgeschlagen haben." Im Projekt Frauenwelten sind Freundschaften entstanden, die auch über das Projekt hinaus bestand haben. "Ehemalige Teilnehmerinnen haben einen eigenen Frauentreff organisiert, sind sogar schon zweimal zusammen in den Urlaub gefahren."

Lernreise für die Teilnehmerinnen

"Viele Frauen erleben hier einen Realitätscheck, einen Aha-Moment", sagt Alice Mazzara, "das ist eine Lernreise für alle Teilnehmerinnen." Und ein Erfahrungsaustausch, der Alteingesessene wie Zugezogene bereichert. Die Augen von Petra Hoffmann glänzen, wenn sie von einem Abend des gemeinsamen Fastenbrechens mit den anderen Teilnehmerinnen des Projekts spricht. "Da habe ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Gemeinschaft erlebt."

Text: Kristin Kasten